Psychosophie

Impressum - Blogplugins - Bookmarks - Miteinander sprechen - Psychosophie - Frage und Antwort - Inhalt - Smiliecodes - MyNetvibes

In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Freitag, 30. Dezember 2011

Klingonenrock

Klingonen haben wohl einen seltsamen Musikgeschmack… aber das ist auch eine Herausforderung. Wie eine waschechte Klingonenband wohl klingen würde? Aus der 'Next Generation' habe ich ein  Motiv gemopst, leicht modifziert und an menschliche Ohren angepasst. Sagen wir, es ist ein Versuch.

   

Therasophie

Therasophie ist ein Ansatz, der die philosophischen Grundlagen und Hintergründe therapeutischen Denkens und Handelns zu ergründen sucht, wohl wissend, dass all das, was dabei herauskommen mag, den Ansprüchen der 'Profilosophen' wohl nicht gerecht werden kann. Aber auch nicht muss. Im Auge habe ich dabei mehr die therapeutisch Tätigen, die sich ihrer selbst bewusst werden und dabei auch Rechenschaft ablegen möchten, was sie denn nun zur reflektierten Grundlage ihres Tuns erklären wollen oder bereits mehr oder weniger durchdacht übernommen haben.

Der Satz "wer heilt, hat Recht" ist so ein 'therasophischer Satz', gehört aus dem Munde eines Arztes, fragwürdig indessen, wenn Wissenschaftlichkeit als Grundlage therapeutischen Handelns gewünscht oder gefordert ist. Fragwürdig gerade aber auch das, denn: deckt den die Wissenschaft wirklich alles ab, was da im Rahmen des Therapeutischen zum Thema zu werden vermag, kann Wissenschaft das überhaupt leisten und wenn ja: welche? Oder: wie viele?

Kann ich wissen, was für andere gut ist?

Der eben erwähnte Satz "wer heilt, hat Recht" enthält bereits einen guten Teil des Problems. Heilen also, das Ziel therapeutischen Handelns, setzt ja voraus, dass da jemand ist, der "nicht heil", irgendwie "beschädigt" oder "krank" ist. Dann brauchen wir aber auch ein Gegenstück, also eine Vorstellung von dem, was "nicht beschädigt" oder "gesund" ist. Woher aber nehmen wir diese Vorstellung? Nehmen alle, die in irgendeiner Weise therapeutisch tätig sind, denselben Begriff, das selbe Verständnis von Gesundheit als Grundlage oder gibt es da vielleicht unterschiedliche, gar gegensätzliche Vorstellungen? Und würde dann das, was für den einen heilend ist, für die andere gar als verwerflich, schädlich, pathogen gelten?
Ein Beispiel, an dem sich die Bedeutung unterschiedlicher Perspektiven deutlich aufzeigen lässt, ist der Gebrauch von Opiaten oder opiathaltigen Mitteln bei Schmerzen. Kurzfristig können solche Mittel Schmerzen lindern, langfristig bergen sie die Gefahr der Abhängigkeit, je nachdem, welche Perspektive man einnimmt, kommen also unterschiedliche Einschätzungen zustande, ob eine entsprechende Verordnung "gut" oder "heilsam" ist.
Allgemeine Formulierungen sind zunächst leicht zu finden: gut ist, was Leiden lindert, schlecht ist, was Leiden erzeugt oder verstärkt. Gerade die Schmerzproblematik zeigt aber auch ein weiteres Perspektivenproblem auf: denn subjektives Schmerzempfinden muss nicht bedeuten, dass es eine objektive, messbare Grundlage dafür gibt. So mag Leiden entstehen, das für andere zunächst nicht nachvollziehbar, nicht überprüfbar ist. Andererseits gibt es definierte Krankheiten wie die Manie, die in der akuten Phase nicht von subjektivem Leiden begleitet sein müssen. Ein Narzisst mag sich selbst als völlig gesund einschätzen, während Therapeuten anhand vorgegebener Kriterien eine Persönlichkeitsstörung diagnostizieren. Mit dem Begriff "vorgegeben" kommt zum Ausdruck, dass immer schon andere über die Frage nachgedacht haben, was denn nun gesund heißen soll. Im therapeutischen Alltag ist keine Zeit, über diese Grundlagen ausführlich nachzudenken, gelegentlich aber wird hier und da das eine oder andere in Frage gestellt - und damit immer auch potentiell die Einschätzung dessen, was als gesund oder krank bezeichnet werden soll.
Das ist auch sinnvoll, denn würde dieses Nachdenken aufgegeben, würden sich die therapeutisch tätigen selbst funktionalisieren, sich in ihren Denkmöglichkeiten beschränken - und einer vielleicht nicht mehr zeitgemäßen therapeutischen Philosophie nachhängen, die sich gleichsam unreflektiert während des Studiums oder einer Therapieausbildung eingeschlichen hat.
Die bequeme Variante ist, dieses Nachdenken den Fachverbänden zu überlassen, die Richtlinien für bestimmte Bereiche formulieren, sich auf Diagnosesysteme zu stützen, die allgemein anerkannt sind oder sich eben lehrbuchmäßig an dem zu orientieren, was gerade irgendwie "in" ist. Ohne solche gemeinsamen Bezugspunkte wäre die Verständigung innerhalb der und zwischen den therapeutischen Disziplinen nicht möglich - dort aber, wo diese Bezugspunkte selbst als potentiell hinterfragbar und verhandelbar eingefordert werden, beginnt erst das eigentliche Geschäft der Therasophie.

Das Anliegen, hier nach einer interdisziplinären Terminologie zu fragen, die als Grundlage der Zusammenarbeit mit angrenzenden Fachbereichen, vor allem aber in der therapeutischen Praxis, in der eben auch Ärzte, Krankenschwestern (oder sollte ich sagen: Kranken- und Gesundheitspfleger/innen?) , Ergotherapeuten, Sporttherapeuten usw. 'am Werk' sind, sei nur am Rande erwähnt. Ein 'anhängendes' Bemühen besteht darin, aus einer psychologischen und sprechwissenschaftlichen Perspektive Beziehungsmedizin zu denken und dabei nach einem gemeinsam werden könnenden Grundverständnis zu fragen.

Die große Chance, die sich darin verbirgt, ist die Möglichkeit, sich Patienten gegenüber als autonom denkendes Subjekt zu präsentieren, das sich nicht einfach auf das Vorgegebene verlässt und lebt, was "man eben tut" - damit aber auch Orientierungspunkt und Modell für eine autonome Lebensgestaltung zu sein. Auch hier steckt nun wiederum eine nicht unbeträchtliche Voraussetzung - dass nämlich Autonomie irgendwie etwas Gesundes sei und Abhängigkeit dagegen vielleicht nicht immer unbedingt krank, aber doch auf jeden Fall weniger wünschenswert, dem Menschen weniger entsprechend ist.

Solche Überlegungen münden unweigerlich in die Frage nach Werten - und die  damit verbundene Frage, ob Therapie nicht immer auch bedeutet, anderen die je eigene Wertorientierung einfach überzustülpen, ohne sie transparent, zugänglich, disponibel, thematisierbar und verhandelbar zu machen. Dort, wo es so ist, hat alles Therapeutische etwas Autoritäres an sich, fixiert in Regularien, formuliert in Vorgaben, Strukturen und Mustern, die festlegen, was im Rahmen der Therapie geschehen soll, kann und darf.

Damit wird auch definiert, was behandlungswürdig und behandlungsbedürftig, was finanzierbar ist und was nicht. Die Frage stellt sich dann, wie viel Therapie 'der' Mensch braucht, bekommt, annehmen und verarbeiten kann. Die Frage stellt sich, welche Probleme welchem Kostenträger wie viel Therapie wert sind und welche Form der Therapie von wem in welchem Ausmaß finanziert werden kann oder soll. Die Frage, ob Therapie denn nun wirklich immer Geld kostet, kosten darf oder muss, macht einen weiteren Seitenweg auf, der vielleicht langsam die immense Komplexität der hier angedeuteten Themen aufzeigt.

Manche werden die Ansprüche vielleicht ablehnen - formulieren möchte ich sie trotzdem als Denkanstoß und Orientierungshilfe: Therapeuten können und sollen über ihr Menschenbild nachdenken, sich über ihre Werte klar werden, können und sollen Themenfelder wie Gesundheit, Werte, Lebensorientierungen und Diagnosen, Behandlungsmöglichkeiten und das Für und Wider einzelner Vorgehensweisen thematisieren und unmittelbar in den therapeutischen Prozess einbringen können.

Damit ist noch lange nicht alles gesagt beziehungsweise geschrieben, was es in diese Zusammenhang zu bedenken geben kann. Vielleicht aber hat der eine oder die andere bereits jetzt so manches zu verdauen. Deshalb soll, um Verdauungsstörungen vorzubeugen, hier eine Pause sein.

Sind Diagnosen hilfreich? 

Montag, 26. Dezember 2011

Mood Jump

Fiel mir einfach so ein... jetzt ist aber erstmal Schluss für heute, ich hab tierisch Hunger.


Empowerment

Noch eins... im Grunde einfach gestrickt, ein Grundthema mit Variationen, eine Mischung verschiedener Stilelemente. Es soll ermutigen, etwas Neues zu versuchen. Und hat Spaß gemacht.

Empowerment by mejaro

Samstag, 24. Dezember 2011

Lacunae

So... auf meiner neuen Seite bei Soundcloud habe ich mich jetzt eingerichtet und möchte erstmal noch fröhliche Weihnachten wünschen. Und jetzt bin ich gespannt, wie das Einbetten von Sounds hier aussieht. Das Stück 'Lacunae' (sehr bedeutungssinnig übrigens...) ist überarbeitet, zeigt einen (für mich) eher ungewöhnlichen Stil. An den Drums und an der Spacepadeinlage habe ich noch herumgebastelt und (wieder einmal) bemerkt, dass Komponieren ein durchaus mühsames Geschäft ist. Aber eben ein Ausgleich zum Alltag. Faszienierend ist dabei das 'Wortlose', die 'Sprachlosigkeit', gleichzeitig die Internationalität der Musik. Gibt es irgendwo Menschen, die keine Töne von sich geben? 
Leider ist das ja alles mit 'Geräusch' verbunden, welch segensreiche Erfindung ist da jenes Stöpselgerät namens Kopfhörer, das es in jedem Trubel ermöglicht, eine individuelle Geräuschkulisse aufs Ohr zu drücken. Bedauerlicherweise nehmen sich die Menschen dabei gegenseitig oft überhaupt nicht mehr wahr... aber auch das scheint irgendwie ein Akt der Selbstbestimmung zu sein. Sei's drum. Vielleicht ist das die 'Choice of Germany'?... Wer sich dafür entscheidet, ein besinnliches gemeinsames Weihnachten zu verbringen (mit oder ohne Weihnachtsgurke): viel Spaß dabei.

Dienstag, 8. November 2011

Keep cool in crisis

Gerade in Krisensituationen verlieren manche Menschen die Nerven. Was bedeutet, sich aufzuregen, übermässig aktiv zu sein. Sich aufzuregen. Wenn ich mich aufrege, wer regt dann wen auf? Ich aktiviere mich selbst (oder: mein Selbst, meinen Körper), und das vielleicht zu stark. Das kann sehr ungünstig sein, denn zuviel Aufregung reduziert das Denkvermögen. Einen klaren Kopf bewahren, das mag nicht immer leicht sein. Also ist das Sich-Beruhigen angesagt, bis der Kopf wieder klar denken kann. Keep cool in crisis – das kann bedeuten, einen ‚kühlen Kopf’ zu bewahren. Also… mal ganz langsam. So langsam, dass es gerade gut ist für den Kopf. In diesem Geiste ist das folgende Stück entstanden. Ob es genügt, oder wenigstens hilft, auf den nüchternen Boden der Realität zu kommen?

Ein Klick auf den Link und es darf gelauscht werden. Auch ohne Krise.


Sprache des Erlebens

Eine Erfahrung, die für Psychotherapeuten nicht ganz ungewöhnlich sein dürfte ist, dass sich viele Menschen sehr schwer damit tun, ihr inneres Erleben zu beschreiben. Es fehlen die Worte, es fehlen die Worte, manchmal gar das Verständnis dafür, worum es in der Psychotherapie wirklich geht. Es ist immer noch keinesfalls selbstverständlich, zwischen Psychologie und Medizin unterscheiden zu können, zu begreifen, dass Psychologie nicht einfach eine Teildisziplin der Medizin ist, nicht alle, die als ‚Psychologen’ bezeichnet werden, auch wirklich welche sind. Wenn jemand die Medikamente aufzählt, die die ‚Psychologin’ verschrieben hat, wird das schnell ersichtlich – denn so wie es im Moment (noch?) aussieht, dürfen Psychologen gar keine Medikamente verschreiben, es sei denn, sie sind gleichzeitig Ärzte. Oder Ärztin natürlich.
Gewisse Ähnlichkeiten bestehen gelegentlich mit Mr. Spock (für Unkundige: der Wissenschaftsoffizier aus der alten Reihe ‚Raumschiff’ Enterprise, ein spitzohriger Vulkanier, der die Menschen unvernünftig findet und alles aus der Perspektive der Logik betrachtet). In einem Film fragt ihn eine Computerstimme: „wie fühlen Sie sich?“. Und er antwortet: „ich verstehe die Frage nicht“.

Damit beginnt das Problem, das Problem ‚geschieht’. Vielmehr: es ‚geschieht’ eben nicht, weil die Sprache für das innere Erleben, das mit der Frage nach den Gefühlen angesprochen ist, verarmt ist oder scheinbar gänzlich fehlt. Dabei muss es sich nicht gleich um Alexithymie handeln, der ‚Unfähigkeit, Gefühle zu lesen’, vielleicht ist es einfach nur ungewohnt, nicht erlernt. Und vielleicht auch eine Grenze, die uns die Sprache überhaupt nahe legt. Oberflächlich betrachtet. Genau besehen gibt es tatsächlich eine Fülle von durchaus alltäglichen Formulierungen, die Erlebnisse beschreiben. Ich glaube und hoffe, dass die Beschäftigung mit solchen Formulierungen auch dann weiter helfen kann, wenn es um eine zunächst rein sprachliche Betrachtung geht. Letzten Endes aber geht es um die Entwicklung einer Fähigkeit – der Fähigkeit, inneres Erleben ‚zur Sprache zu bringen’. Womit vorausgesetzt wird, dass das Erlebte auch erlebt werden kann und eben eine gewisse Übung erforderlich ist, um passende Worte und Formulierungen auch wirklich zu finden. Bringen wir dabei nun die Sprache zum Erleben oder das Erleben zur Sprache? Vielleicht ist es beides, in einem Prozess der inneren Überprüfung lässt sich entwickeln, welche Formulierung am besten passt.

So zeigt sich dann das Therapeutische im Anbieten von Formulierungen, im Tasten nach Worten, die vielleicht das wiedergeben können, was die Erlebenden selbst nicht in Worte fassen können. Oder noch nicht. Auch wenn es nur ungefähr passt, ist ein Schritt getan, der sich dann weiter ausbauen lässt.

„Da belastet mich etwas“. Das ist ein sehr vorsichtiger Anfang, der deshalb Sinn macht, weil das Gespräch über das, was ‚in Ordnung ist’, keinen Anlass für Psychotherapie mit sich bringt. Da ist irgendetwas schwierig, oder: da gibt es einen Punkt, an dem ich nicht weiter komme oder nicht weiter weiß… Solche Aussagenfragmente können ein Ansatz sein, von dem aus weiter gefragt werden kann. Was es denn nun ist, das schwierig ist, wie denn der Punkt zu beschreiben ist, an dem es nicht weiter zu gehen scheint.  Eine solche Situation kann sehr unangenehm sein, unbehaglich, und das ist auch ein Erlebnismoment. Als Erklärung beziehungsweise Begründung, warum es manchen wohl so schwer fällt, ihr inneres Erleben zu beschreiben, möchte ich einen neuen Begriff einführen, der ebenfalls ein Erlebnismoment ist, aber kaum direkt ausgesprochen wird. Erlebnisangst. Was bedeutet: ich habe Angst davor, mich mit meinem inneren Erleben zu beschäftigen, weil das unangenehm werden könnte, weil dabei vielleicht etwas zutage tritt, das mir gar nicht gefällt.

Dort aber, wo es schier unmöglich ist, das eigene Erleben zu beschreiben, drängt sich die Frage auf, ob der oder die Betreffende überhaupt noch am Leben ist – psychisch am Leben, meine ich damit. Denn gerade das Erleben ist der Ort, an dem das Leben sich seiner Lebendigkeit bewusst zu werden vermag. Wer sich davor fürchtet, reduziert das je eigene Potential im Grunde auf eine Ebene des mechanischen Funktionierens, eine Ebene, die noch unter der Erlebnisfähigkeit eines Tieres liegt.  Hunde beispielsweise können erstaunliche  gruppendynamische Kompetenzen entwickeln, spüren, wenn irgendwo „dicke Luft“ ist, unruhig werden oder sich zurückziehen. Leider fehlt ihnen die Fähigkeit, sich dabei mit klaren Worten verständlich zu machen – aber sie erleben etwas und reagieren darauf. Das gemeinsame Element, das „Reagieren auf etwas aufgrund des inneren Erlebens“, ist ebenfalls ein indirekter Zugang zum Erleben.  Extraverbale Kommunikation (die landläufig als ‚Körpersprache’ bezeichnete Art, sich mit anderen zu verständigen)  deutet auf bestimmte Erlebnismomente, bleibt dabei aber potentiell immer dem Missverstehenkönnen ausgesetzt, denn eine Reaktion wie „Weggehen“ kann aus einem „Sich-Unwohl-Fühlen“ ebenso entstehen wie aus einem Termin, der dringend erscheint – auch wenn der Wunsch, zu bleiben, recht stark sein mag.

Genau dort liegt ein starkes Argument, sich mit der Sprache des Erlebens zu beschäftigen – denn dort, wo sich das innere Erleben nicht klar und eindeutig aus Verhaltensweisen, Äußerlichkeiten und Reaktionen ableiten lässt, bedeutet „sich mit dem eigenen Erleben zur Sprache bringen können“ auch: zumindest die Chance zu haben, verstanden zu werden.  Und: die Chance zu haben, sich selbst ein kleines bisschen besser zu verstehen.

Montag, 26. September 2011

Persönlichkeitsdiagnostik: Probleme und Trends

Persönlichkeit: was ist das eigentlich?
Im Alltag werden manche Menschen als 'Persönlichkeit' bezeichnet, andere wiederum nicht, was bedeuten würde, dass es manche 'haben' oder 'sind', andere eben nicht. So unterschiedlich die Vorstellungen in der Psychologie auch sind, was denn nun mit Persönlichkeit gemeint ist, so grundsätzlich scheint doch der gemeinsame Nenner zu sein, dass alle Menschen Persönlichkeit 'haben' und - das es eben auch Persönlichkeitsstörungen gibt, die allerdings als therapeutisch schwerer zugänglich gelten. In einer Zeit, in der es schnell gehen muss, Therapieplätze rar sind und die Krankenkassen immer mehr in Geldnot geraten (ich meine jetzt zunächst die Krankenkassen in Deutschland), geraten Persönlichkeitssörungen leicht in den Hintergrund.
Nichtsdestotrotz gibt es Überlegungen zu einer Revision diagnostischer Kriterien. Zumindest in Amerika, und darüber möchte ich jetzt berichten.
Worum es geht? Zunächst einmal gibt es mehrere Diagnosesysteme, in Deutschland scheint das ICD-10 (Im Original: International Classification of Diseases) am häufigsten verwendet zu werden, daneben existiert noch das DSM, zu erwähnen ist auch das ICF, das sich aber schwer durchsetzen kann, weil es ziemlich kompliziert ist.
Das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) existiert im Moment in der vierten Fassung, in der neuen (also der fünften) sollen die Kriterien für Persönlichkeitsstörungen überarbeitet werden. Die Überlegungen dazu sind eine gute Gelegenheit, grundsätzliche Fragen neu zu stellen:

Was ist Persönlichkeit eigentlich?
Sind 'Schubladen' sinnvoll, also klare Kategorien, 
die die einen als 'normal', andere dagegen als 'gestört' bezeichnen?

Eine typische Vorgehensweise in der Psychodiagnostik ist die Beurteilung anhand mehrerer Kriterien, von denen in der Regel mindestens drei oder fünf eindeutig erfüllt sein müssen, um eine bestimmte Diagnose stellen zu können. Immerhin: wenn bestimmte Auffälligkeiten nicht stark genug sind, bietet sich als Zwischenstufe die Persönlichkeitsakzentuierung an, die eine grundsätzliche Auffassung bereits andeutet: die Vorstellung nämlich, dass Persönlichkeitsmerkmale mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Damit bleibt immer auch eine Grauzone bestehen, in der man sich darüber streiten kann, ob dieses oder jenes bereits als 'krank' bezeichnet werden sollte oder nicht. Zwei Klassen von Kriterien sind von Bedeutung, wenn es um die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung geht:
funktionale Störungen im Bezug zu sich selbst und anderen (das war erstens) und zweitens um krankhafte Persönlichkeitszüge.

Nur so ganz nebenbei steckt in alledem natürlich immer auch eine Vorstellung von dem. was 'normal' oder 'gesund' ist. Und: die Idee, dass Störungen Leiden verursachen, dass der oder die Betreffende (oder Betroffene) an irgendetwas leidet, hier: an sich oder anderen, vielleicht auch an sich UND an anderen. Zwingend ist das aber nicht - dass (von außen betrachtet) eine Störung vorliegt, muss nicht auch bedeuten, dass diese Störung subjektiv auch Leiden verursacht, also die Person selbst stört.

Ein Vorschlag zur Revision der Kategorien des DSM betrifft die
 "nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung", die auch im ICD-10 existiert (als F 60.9). Besonders hilfreich sind solche Diagnosen nicht, im Grunde verbirgt sich hinter den Worten "nicht näher bezeichnet" oder "nicht andernorts klassfiziert" das Eingeständnis, dass da etwas ist, das sich nicht so recht einordnen lässt, etwas Unklares also.

Etwas klarer ist die Diagnose F61 im ICD-10: bei kombinierten Persönlichkeitsstörungen lassen sich immerhin die Züge beschreiben, die erkennbar sind, aber in ihrer Ausprägung nicht stark genug sind, um die Diagnose einer spezifischen Persönlichkeitsstörung zu rechtfertigen. In eine ähnlche Richtung geht der Vorschlag, die "Personality disorder-trait specified”, also eine durch Merkmale spezifierte Persönlichkeitsstörung als Ersatz für die bisherige Formulierung in das DSM-5 aufzunehmen.

Ein grundsätzliches Problem der klinischen Praxis wird hier berührt: was mache ich, wenn es problematische Bereiche gibt, die erkennbar sind, insgesamt aber eben nicht alle Kriterien so klar erfüllt sind, dass die Diagnose einer "Störung mit Krankheitswert" gerechtfertigt ist?
Gehen wir davon aus, dass Persönlichkeitsmerkmale mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können, dann können auch Persönlichkeitsstörungen mehr oder weniger stark ausgeprägt sein - wenn es für eine Diagnose nicht reicht, bedeutet das nicht, dass da "nichts ist".
 

Ein weiterer Ansatz zur Revision des DSM soll noch kurz erwähnt werden: die Skala zur Ausprägung der Persönlichkeitsfunktionen (im Original: Personality Function Scale).

In fünf Stufen sollen dabei jeweils zwei Funktionen in zwei Bereichen eingeschätzt werden.

Das Selbst

Identität. Kann ich mich selbst als einmalig erleben, mit klaren Grenzen zwischen mir und anderen, stabiler Selbsteinschätzung und Selbstregulation, der Fähigkeit, ein breites Spektrum emotionaler Erfahrungen zu verarbeiten?

Selbststeuerung. Kann ich konsequent kurzfristige und langfristige Lebensziele verfolgen, mich dabei an konstruktiven und prosozialen inneren Ansprüchen bezüglich meines Verhaltens orientieren und in konstruktiver Weise über mich selbst nachdenken?

Beziehungen

Empathie. Habe ich Verständnis und zeige ich Wertschätzung für die Erfahrungen anderer, kann ich unterschiedliche Perspektiven tolerieren, die Wirkungen meines Verhaltens auf andere verstehen und einschätzen?

Intimität. Kann ich tiefere und dauerhafte positive Beziehungen zu anderen aufnehmen und gestalten, Nähe herstellen und aushalten, gegenseitigen Austausch von Zuwendung und Zuneigung gestalten?

 Die Formulierungen zur Personality Function Scale sind frei übersetzt, kommen aber einem therapeutischen Anliegen nahe - dem Bedürfnis, Diagnosen als pragmatische Konzepte zu verstehen, aus dem sich Ansatzpunkte für therapeutische Zielsetzungen ableiten lassen.

Quellen:

Samstag, 9. Juli 2011

Miss Leading oder: Irre Führung

Wie man Mitarbeiter aus dem Häuschen bringt.... Vorab: alles ist frei erfunden, Satire, gar nicht wahr, beruht aber leider auf wahren Geschichten frustrierter, depressiver, ausgebrannter Menschen, subjektiv gefärbt natürlich. Und zum Teil durchaus selbst in einer Führungsposition, trotzdem gebeutelt durch wachsendes Arbeitstempo, Kostendruck und oft genug schlicht unerreichbarer Vorgaben, zurechtgestrubbelt durch eigens fürs "Niedermachen" trainierte Kontrolleure, bis sie schließlich in einer Klinik landen und dort feststellen, dass irgend etwas schiefgelaufen ist, das Gesamtproblem aber nicht ganz und gar in der eigenen Person zu finden ist. Hinter dem Kampf zwischen "Müssen" und "Nichtmehrkönnen" schimmert die Einsicht, dass der Druck nicht nur von innen sondern (wie so manch anderes Gute) auch von oben kommt. Da drängt sich vielleicht die Schlußfolgerung auf, dass Vorgesetzte Vorgesetzte heißen, weil sie ihren Mitarbeitern ständig (und immer wieder etwas Neues) vor-setzen, anstatt hinter ihnen zu stehen und einfach dafür Sorge tragen, dass jene ihre Arbeit machen können. Und möglichst (so ein weit in eine ferne und kaum vorstellbare Zukunft hineinweisender Wunschtraum) dabei auch noch Rücksicht auf deren Gesundheit nehmen. Alles andere ist "Misleading", Irre(-)Führung also. Und dabei muss es sich keineswegs um eine Miss (oder Mistress) handeln, Männer können sowas auch.
Miss Leading: das ist die personifizierte Kunst, Mitarbeiter bis an den Rand der Verzweiflung zu bringen - und darüber hinaus. Mit der Diagnosestellung "Arbeitsplatzkonflikt" oder auch "Burnout" sind die möglichen Folgen gut beschrieben, kaum aber die Wurzeln und die Details, erst recht nicht die Strategien als Bestandteil der Kunst, mit alledem irgendwie fertig zu werden.
Zunächst aber zu den Regeln, an denen sich Mister oder Miss Leading am besten orientieren...


1. Verlangen Sie von Ihren Mitarbeitern stets das Äußerste, das absolute Maximum des Möglichen.

2. Setzen Sie das Optimum als Normalität und konfrontieren Sie die Zurückgebliebenen mit der Bemerkung: "die anderen schaffen es ja auch".

3. Falls es jemand wagen sollte, darauf hinzuweisen, dass etwas "nicht geht", kontern Sie mit: "Sie müssen das schaffen".

4. Denken Sie daran, dass es nur um drei Dinge geht: Umsatz, Umsatz und Umsatz. Wovon schließlich wird Ihr Gehalt bezahlt?

5. Verantwortung hat man als Führungskraft nicht - man nimmt sie seinen Mitarbeitern weg. Wenn etwas schief gehen sollte, kann man sie ja immer noch zurückgeben...

6. Geben Sie Druck von oben stets unreflektiert nach unten weiter. Sie werden schließlich fürs Führen bezahlt, nicht fürs Denken.

7. Kurbeln Sie das Hamsterrad einfach nur an. Wenn die Mitarbeiter erstmal schnell genug laufen, dreht es sich ganz von allein immer schneller.

8. Außerhalb der Arbeit gibt es nichts, darf es nichts geben.

9. Verwenden Sie möglichst häufig das Wörtchen "MUSS". Das muss so sein, das alles muss erledigt werden. Was irgendjemand will ist irrelevant, Widerstand ist zwecklos. Alles Wollen wird assimiliert.

10. Sollten ab und zu Mitarbeiter völlig erledigt zusammenbrechen, denken Sie an das gute Werk, das Sie hiermit für die therapeutische Zunft und die Pharmaindustrie getan haben.


Sie werden bald erkennen, wohin die Ideologie des absolutistischen Perfektionismus führt. Echt irre!
Noch etwas: beschäftigen Sie sich auf gar keinen Fall mit konstruktiven Führungsansätzen oder Prinzipien ermutigender Kommunikation.
Ihre Mitarbeiter könnten womöglich zu reifen Persönlichkeiten mit gesundem Selbstwertgefühl werden. Was sollten Sie dann noch kritisieren, aus welchen Quellen ihre Überlegenheit und Führungslegitimation beziehen?

*

Mittwoch, 15. Juni 2011

Der fliegende Teppich


und hätt ich einen teppich
schön gewebt
zum fliegen
es wäre gar nicht schwer
mich von hier weg zu kriegen

in fernes land zu fliegen
wo alles anders
schöner
besser

ich bräucht mich nicht
zu wehren
nichts 


unter den teppich
flugs zu kehren

doch....
blosse fantasie ist's
das zu schreiben

ich werd wohl
auf dem teppich
bleiben


*

Dienstag, 14. Juni 2011

nicht so... sondern so...

Einfach. Praktisch. Zur Erinnerung. Der Zusammenhang: in der Problemlösegruppe tauchte die Frage auf, wie sich im Alltag Veränderungen gestalten lassen. Tja, da ist mir so manches klar geworden, aber wie setze ich das im Alltag um? Die alten Muster, die gewohnten Zusammenhänge, die sind schließlich noch da. Das ist ein Grundproblem, das in der stationären und auch in der ambulanten Psychotherapie immer wieder auftritt. Das Muster "nicht so... sondern so..." ist eine einfache Erinnerungshilfe, eine einfache Tabelle. Die erste Spalte nimmt als Stichwort oder einfache Formulierung die Dinge auf, die nicht mehr sein sollen, persönlich formuliert: das, was ich nicht mehr (tun) möchte. Und dann kommt auf der rechten Seite (der rechen Spalte) das hin, was ich stattdessen (tun) möchte. Zum Beispiel...: da stellt einer fest, dass er Konflikten gerne aus dem Weg geht. Und was nun stattdessen? Alle Konflikte austragen? Auch mal die eigenen Rechte in Anspruch nehmen? Auch mal sagen: das passt mir nicht? Die Antworten sind persönlich und es dauert vielleicht seine Zeit, eine passende Formulierung zu finden. Oder: statt "mich selbst immer wieder überfordern" eben so: "meine Grenzen respektieren und zum Ausdruck bringen, wenn ich etwas nicht (mehr) schaffe". Oder statt "es allen Recht machen wollen" eben so: "abwägen, was wichtig ist und Ansprüche verschiedener Menschen ausbalancieren".
Und so weiter. Die Liste kann sehr lang werden, vielleicht ist es empfehlenswert, die wichtigsten Punkte herauszufiltern. Und dann auszuprobieren, was sich davon wirklich umsetzen lässt. Das dauert vielleicht seine Zeit, nicht alles wird sofort gelingen.
Das Wichtigste ist die schlichte Erkenntnis, dass es eine Menge Dinge gibt, die auch irgendwie anders gehen. Und wenn das Andere sich dann als besser, gesünder herausstellt, lohnt es sich, das Neue auch beizubehalten. Oder die Liste zu überarbeiten.
Es ist nicht nötig, alte Muster, die sich als schädlich, unpassend oder unbrauchbar erwiesen haben, für immer und alle Zeit weiter zu nutzen. Es geht auch anders. Eben nicht so (wie bisher), sondern so (wie es besser ist).



*

Sonntag, 15. Mai 2011

Musikalische Trauerarbeit

Was Trauer ist, weiß ich wohl, und dennoch fällt es schwer zu beschreiben, was Trauerarbeit ist, wie Trauer "geht". Es scheint eine sehr persönliche Erfahrung, ein individueller Prozess zu sein, in dem sich Phasen benennen lassen, der aber auch nicht leicht zu verstehen oder zu begleiten ist.
Dehalb habe ich versucht, einen musikalischen Raum zu schaffen, der Traurigkeit aufnimmt und leben lässt, Brüche und ins Leere laufende Muster musikalisch thematisiert, gleichzeitig aber auch daran erinnern soll, dass das Leben weiter geht. Das Verlassen, Loslassen, Sich-Verlassen-Fühlen und in der Erinnerung die Unsterblichkeit des Lebens selbst zu erfahren, all das gehört dazu. Und so, wie das Stück ein Ende hat, darf und soll auch Trauer einmal ein Ende finden.

Der Downloadlink zur musikalischen Trauerarbeit führt zu einer Datei im mp3-Format. 

Samstag, 14. Mai 2011

Richtig + falsch = falsch


Denkspiel über eine seltsame Gleichung.

Die Gleichung "richtig und falsch ist falsch" lässt sich auf unterschiedliche Art interpretieren. Die eine ist eine Frage der Logik, zur zweiten komme ich später. Die Frage nach der Logik beruht auf der schlichten und nicht unbedingt angenehmen Erkenntnis, dass beim Denken Fehler unterlaufen, und einer davon ist die Gefahr, falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Psycho-logisch können sich daraus unangenehme Konsequenzen ergeben, logischerweise beschäftigen sich Kognitive Therapieansätze deshalb auch mit Denkfehlern und problematischen Annahmen.

Mit einfachen Beispielen lässt sich das Problem anschaulicher machen - und zeigen, dass Ängste und depressive Verstimmungen eben auch eine Folge von Denkfehlern sein können. Das Muster der Generalisierung oder Verallgemeinerung beruht auf dem Prinzip von "vielen" auf "alle" zu schließen. Und das ist eben falsch - also: logisch falsch. Und psycho-logisch problematisch, möglicherweise ungesund.

Ein etwas schräges Beispiel ist die Schlußfolgerung, aus dem Genuss von rotem Sirup zu schließen, dass alles was rot und dickflüssig ist, auch irgendwie gut schmecken muss. Rot könnte aber auch Spülmittel sein und das schmeckt nun erstens nicht besonders und ist zweitens auch nicht besonders gesund... Ein solcher seifenblasenspendender Irrtum ist zwar nicht unbedingt häufig, das Prinzip dagegen schon - es liegt eben nahe, aus bisherigen Erfahrungen Schlüsse zu ziehen, was wohl noch so alles geschehen wird. Oder könnte.

Die Formulierung macht dabei einen kleinen, aber bedeutenden Unterschied. Wenn es irgendwo häufiger regnet, könnte es schon sein, dass es dort morgen auch regnet. Könnte schon, könnte aber auch nicht. Die Annahme scheint vernünftig, dass etwas, das bereits einmal geschehen ist, möglicherweise auch ein zweites Mal geschieht... aber auch hier lässt sich ein Fragezeichen machen. Sicher, es gab einmal ein Datum wie "1. Januar 2000", aber dass dieses Datum in der Zukunft ein zweites Mal auftaucht, ist ziemlich unwahrscheinlich, genauer gesagt unmöglich, solange nicht die gesamte Zeitrechnung von Null begonnen oder wenigstens vor das Jahr 2000 zurückgesetzt wird.

Die simple Frage "stimmt das wirklich?" macht aus so mancher Aussage über "richtig" und "falsch" eine mehr oder weniger wackelige Annahme, so manches gilt nur unter bestimmten Voraussetzungen, in einem bestimmten Zusammenhang, für eine bestimmte Person. So manche Schlußfolgerung ist falsch, weil die Annahmen, auf denen sie beruht, nicht stimmen, vielleicht auch einmal gestimmt haben, aber jetzt eben nicht mehr korrekt sind...

Das Resumée aus alledem: Aussagen über "richtig" und "falsch" sind nicht mehr (aber auch nicht weniger) als mehr oder weniger gut begründete Überzeugungen, mehr oder weniger fragwürdig. Und (jetzt kommt die zweite Art der Interpretation) es ist "falsch", sagen wir: fragwürdig, stets und überall alles nach "richtig" und "falsch" zu beurteilen. Denn so manches kann man so oder auch anders sehen.


Dienstag, 22. März 2011

stumm


bezüglich vieler
kleiner
fragen

hab ich
schon längst

nichts mehr zu sagen

ich wage es
nicht mehr
zu fragen

ich wage es
nicht mehr
zu klagen

muss
schweigend
mein
schicksal
ertragen

weh tut's nur noch
der schädel brummt

ich schweige nicht
ich bin verstummt


Samstag, 19. März 2011

Wie werden Menschen mit Katastrophen fertig?


Tschnernobyl ist lange her, zuerst kam der Schock und dann helle Aufregung... und nach einiger Zeit war es dann doch nicht mehr so schlimm. Vor diesem Hintergrund ist der Umgang mit Katastophen eine zweischneidige Sache - denn 'Umgang' kann auch 'Wegschieben' bedeuten und ist dann zwar für das Individuum gesünder, wirft aber auch Probleme auf, wenn zuwenig oder nicht gründlich genug Konsequenzen gezogen werden. Die Frage nach Prinzipien der Katastrophenbewältigung ist anders formuliert die Frage nach dem, worauf es ankommt - und die Antworten haben verschiedene Ebenen. Irgendwie werden Menschen dann doch immer wieder mit Katastrophen fertig. Warum eigentlich? Und: wie?

1. Abstand gewinnen

Abstand gewinnen bedeutet nicht automatisch Abwehren oder Verdrängen - auch das Dissoziieren als 'inneres Weggehen' ist ein Bewätigungsmechanismus, der eine Schutzfunktion hat und in bestimmten Zusammenhängen als einzige Chance übrig zu bleiben scheint. Im wesentlichen geht es um das Ziel, sich nicht völlig überwältigen zu lassen, die Handlungsfähigkeit zu bewahren bzw. wieder herzustellen.

2. Verstehen

Die Zusammenstellung von Dokumentationen zu den Themen Kernkraft und Tsunami folgt dem Gedanken, nach Erklärungen zu fragen, aber auch Erklärungen vermittelbar zu machen - dabei steht für 'ganz normal Sterbliche' weniger die wissenschaftliche Präzision im Mittelpunkt, eher die 'Fassbarkeit'. Eine Vorstellung von dem zu bekommen, was da eigentlich geschehen ist, macht es leichter, Erfahrungen einzuordnen und zu bewerten.

3. Rationalität

Als wissenschaftlich denkender Mensch halte ich nichts von religiösen Erklärungsmustern, die Naturkatastrophen als "Strafe Gottes" einordnen und dabei mehr zusätzliche Ängste erzeugen und damit die Bewältigung erschweren. Zur Rationalität gehört auch die Unterscheidung von kontrollierbaren und nicht kontollierbaren Aspekten - an den Prozessen im Innern der Erde können wir im Moment wenig ändern, am Umgang mit der Kernkraft dagegen sehr wohl.
Rational ist es, nach Möglichkeiten zu suchen, wie sich schwierige Situationen in den Griff bekommen lassen - der Einsatz um das AKW Fukushima folgt diesem Prinzip und ist (Kritik hin oder her) nicht nur bewunderswert, sondern auch Ausdruck funktionaler Angstbewältigung. Zu Recht, wie ich meine, bezeichnet man die 'Fukushima 50' als Helden, denn Angst haben sie gewiss. Aber Helden sind eben keine Menschen, die keine Angst haben, sondern solche, die ihre Angst überwinden und trotzdem etwas tun können.

4. Korrektur bisheriger Sichtweisen

 "Das hätte ich nie für möglich gehalten"... diesen Satz haben in den letzten Tagen wohl viele Menschen gedacht oder auch ausgesprochen. Angela Merkel ist dafür kritisiert worden, als sie sagte, es sei eine neue Lage entstanden. Versteht man 'Lage' als subjektive Repräsentation, dann hat sich sehr wohl für sehr viele Menschen die Lage verändert - auch dann, wenn es objektiv betrachtet keine grundsätzlich 'neuen' Risiken der Atomkraft gibt, Psycho-logisch ist das Moratorium der Kernkraftwerke auf jeden Fall - sie entspricht, salopp ausgedrückt, der Erfahrung, dass es Zeit braucht, sich auf Veränderungen einzustellen und dass dabei der je eigene Standpunkt vielleicht auf einer sehr grundsätzlichen Ebene neu überdacht werden muss. Auch dort, wo sich Sachverhalte nicht verändert haben, kann diese Überprüfung bisheriger Sichtweisen zu einer neuen Bewertung, einer neuen Situationseinschätzung führen.

5. Hoffnung und Optimismus

Was ich mit Hoffnung und Optimisums meine, ist keine "rosa Brille", sondern durchaus eine realitätsbezogene Einstellung, die ebenfalls eine rationale Grundlage haben kann. Wunder daeuern gelegentlich etwas länger und sind zur Begründung von Hoffnung und Optimismus nur bedingt geeignet. Nachdem es gelungen war, ein Stromkabel zum AKW in Fukushima zu legen, hatte das Prinzip Hoffnung wieder einen konkreten Anker - auch wenn von "vollständiger Kontrolle" nicht die Rede sein kann, zeigt sich die Begrenzbarkeit des Übels...

Ohnmacht und Hilflosigkeit legen passvies Abwarten nahe, für viele ist das tatsächlich auch die einzige Möglichkeit. Hoffnung beruht darauf, dass sich die Dinge nicht nur ändern, der Wind gelegentlich auch in die 'richtige Richtung' weht, sondern auch auf der Möglichkeit, etwas dafür zu tun, dass sie sich ändern. Optimismus ist immer dann angebracht, wenn es eine, sei es auch nur 'irgend eine' Handlungsmöglichkeit giibt, auch wenn ein ausgearbeiteter Katastophenplan fehlt.

6. Initiative

Das Prinzip Initiative scheint für Japaner weniger vertraut, es ist ein eher individuelles Prinzip, 'die Dinge in die Hand zu nehmen'. Dort, wo bestehende Strukturen zusammen gebrochen sind und eine stabile Struktur fehlt, wird Initiative aber ein wichtiges Prinzip, das Leben (wieder) in den Griff zu bekommen.

7. Normalität

Es mag kalt und verständnislos erscheinen, im Zusammenhang mit der Bewältigung von Katastrophen von Normalität zu sprechen. Für die obdachlos Gewordenen, die nicht nur ihre Felle, sondern auch Verwandte, Freunde und Bekannte davon schimmen sahen, ist nichts mehr normal. Trotzdem ist das lange Verharren in einem Schockzustand nicht hilfreich, die Bewältigung führt früher oder später zu einem ganz normalen Alltag zurück.

...soweit die Skizze. Mehr als ein Entwurf sollte es nicht sein.

*

Wie Tsunamis entstehen: Dokumentationsvideos


Dokumentationsfilm zur Entstehung von Tsunamis (45 min).


1. Teil





2. Teil





3. Teil





Kurzer Animationsfilm zum Zusammenhang von Erdbeben und Tsunamis


Kernspaltung: wie alles begann


Dokumentarfilm über die Entdeckung der Kernspaltung und die politischen Zusammenhänge zur Zeit des zweiten Weltkriegs (etwa 25 Minuten lang),


ZDF History - Die Entdeckung der Kernspaltung from cpucomplexx on Vimeo.
Die Entdeckung der Kernspaltung


*

Freitag, 18. März 2011

Donnerstag, 17. März 2011

Katastrophenberichte können traumatisierend wirken

Die American Psychiatric Association hat soeben einen Text veröffentlicht, in dem es darum geht, mit Kindern über das Erdbeben in Japan zu sprechen. Die Bilder, die durch die Medien gehen, sind dramatisch - so etwas kann ganz schön mitnehmen, Ängste und Entsetzen auslösen.

Wenn man sich dann noch mit der Problematik auseinandersetzt, kann es leicht traumatisierend werden, vor allem dann, wenn man sich vorstellt, dass das alles gerade jetzt Realität ist. Es ist ja auch Realität! Dem Hinweis, dass es für Personen aller Altersgruppen traumatisierend wirken kann, folgt die Ergänzung, dass Kinder sich schwerer davon distanzieren können.

Die Tatsache, dass in Deutschland Jodtabletten gekauft werden und die Geigerzähler ausverkauft sind, spricht ebenfalls dafür, dass hier Angst und Panik um sich greifen, obwohl keine Gefahr besteht. Lebensmittel, die bereits vor längerer Zeit aus Japan importiert wurden, sind natürlich nicht radioaktiv verseucht und neue Importware wird geprüft.

Die APA weist zu Recht darauf hin, dass nicht alle Medien eine Warnung vorausschicken, wenn möglicherweise dramatische, traumatisierende Bilder folgen - so gesehen sind bereits die Nachrichten ein Problem, ebenso wie Fernsehsender, die den ganzen Tag lang immer wieder aus Japan berichten und die Bilder von hohen Wellen, verzweifelten Menschen und zerstörten Städten haufenweise über den Bildschirm rasen lassen. 

Vertraute Strukturen beibehalten und eben nicht das ganze Leben umkrempeln, das gibt Halt. Kinder (und Erwachsene, möchte ich ergänzen) brauchen Hilfestellung, das zu verstehen, was da geschieht. Wenn sie es wollen und bereit dazu sind. Und hier gibt es (da bin ich mir sicher) große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Regionen. In den USA gibt es an der Westküste eine andere Situation als im Osten, in Deutschland kann man sich im Landesinnern einen Tsunami kaum vorstellen - die Japaner dagegen wissen sehr wohl, was ein Tsunami ist und haben auch mehr Erfahrungen mit Erdbeben.

Auch die Erklärung, der Tsunami sei eine Strafe des Himmels, "weil die Japaner so selbstsüchtig sind", halte ich nicht gerade für eine glückliche Aussage - denn die Ursachen liegen im Innern der Erde, Erdbeben entstehen durch die Bewegung der Erdplatten und das hat nichts damit zu tun, dass die Japaner irgend etwas falsch gemacht hätten.

Florian Freistätter hat bereits darauf hingewiesen, dass die Berechnungen zum Weltuntergang (Daten addieren und dadurch auf das angebliche Ende der Welt kommen) unsinnig sind.

Aber zurück zu den Empfehlungen der APA - schreiben, malen, Musik machen - all das sind Möglichkeiten der Aufarbeitung, der Auseinandersetzung. Für 'uns' als diejenigen, die weit weg und nicht unmittelbar bedroht sind, sinnvoll, nicht dagegen in den Katastrophengebieten selbst. Dort geht es erstmal um das schlichte Überleben, um Unterkunft, Nahrung, Strom, Benzin usw. Die Aufarbeitung kommt dort erst später, wenn die körperliche Sicherheit gewährleistet ist.

Zum Schutz von Kindern aber auch von Erwachsenen kann ich die Empfehlung der APA nur dreimal dick unterstreichen: die Konfrontation mit diesen schrecklichen Bildern begrenzen und Kinder damit auf keinen Fall allein lassen!

Es ist schon schlimm genug.

Wer einigermaßen Englisch lesen kann, hier der Link zur APA: 

Echt sein: Authentizität als Lebenshaltung

Eine kleine Vorbemerkung: die folgende Darstllung zum Thema Authentizität ist eine Antwort auf Elmar Diederichs Artikel "Was ist Authentizität?".
Als Hintergrund für meine eigenen Überlegungen möchte ich auf meine Prägungen durch die humanistische Psychologie hinweisen - mit dem Begriff "Authentizität" verbinde ich schnell den Begriff "Echtheit", aber auch "Ehrlichkeit", und meine damit soviel wie "sich selbst und anderen nichts vormachen". Der Begriff "Transparenz" ist nicht sehr weit weg davon...
Aber jetzt zum Artikel von Elmar Diederichs.


Uff, ziemlich lang. Erstmal legt der Titel ja eine Begriffsklärung nahe, Frage also: was ist das eigentlich, Authentizität?

Aus dem Abschnitt zu Jean Paul Sartre lässt sich sein Definitionsansatz ableiten:

Authentizität ist eine Eigenschaft von Handlungen.

Aha. Okay, bisher hatte ich Authenzität stets auf Personen bezogen (war damit Sartre näher), insgesamt kann ich aber beiden Betrachtungsweisen etwas abgewinnen - und kann mir mit der Formulierung

'Authentizität kann sich auf Personen oder Handlungen beziehen'

ein umfassenderes Begriffsverständnis vorstellen, das beide Aspekte aufgreift. Auch jetzt taucht ein verwandter Begriff auf, 'Kongruenz' nämlich, im Sinne von 'in sich schlüssig'. Tue ich etwas, das mir nicht entspricht, das meinen Einstellungen zuwiderläuft, ist mein Handeln nicht authentisch, ich bin es aber auch nicht, weil das was ich tue, eben nicht zu meinen Einstellungen passt. Und wieder tauchen zwei verwandte Begriffe auf: Glaubwürdigkeit und Integrität.

All diese Dinge haben in meinem Kopf sehr viel mit Gesundheit zu tun, und deshalb, weil ich eben glaube, dass Authentizät als Lebenshaltung eine 'gesunde Sache' ist, scheint es mir auch wertvoll, über diese Begriffe nachzudenken.


Nun kommt bei Elmar Diederichs ein Hinweis auf Michael Kernis und Brian Goldman - und da musste ich erstmal stöbern, mit dem Ergebnis, einen weiteren Zusammenhang zu erahnen. In einer Studie aus dem Jahr 2007 ging es um die Frage, wie sich Unterschiede bezüglich Authentizität und Achtsamkeit (im Original: mindfulness) auf "verbale Defensivität" (im Original: verbal defensiveness) auswirken. Für diejenigen, die jetzt nur noch 'Bahnhof' verstehen, eine grobe Interpretation der Ergebnisse:
Authentizität und Achtsamkeit führen zu weniger defensivem Gesprächsverhalten - oder anders: "dort, wo ich mit mir selbst im reinen und achtsam bin, werde ich mich seltener verteidigen, kann offener und direkter auf andere zugehen".

Eine Anwendung dieser Interpretation auf die heutige Debatte im Bundestag zur Atompolitik spare ich mir an dieser Stelle... und komme zur Beschreibung im Artikel über Authenzität zurück, mit einem Zitat aus zweiter Hand (authentisch ist, wenn ich wenigstens angebe, WO ich abgeschrieben habe...):

Die Sozialpsychologen Michael Kernis und Brian Goldman unterscheiden vier notwendige Bedingungen, die zusammen für Authentizität hinreichend sein sollen:
  • sich selbst zu erkennen
  • Ehrlichkeit in Bezug auf die eigenen Eigenschaften vor sich selbst
  • Treue zu den eigenen Prinzipien und Entscheidungen
  • Aufrichtigkeit in Bezug auf die eigenen Eigenschaften vor anderen

zitiert nach Diederichs, E. (2011).


Und jetzt bekomme ich echt ein Problem... da bleibe ich nämlich schon wieder hängen und fürchte, ich werde dem Anspruch, den gesamten Artikel durchzuackern, nicht gerecht werden können.

Also.... Selbsterkenntnis, klar, wie sollte ich wissen, was ich will, wenn ich mich selbst nicht kenne? In meiner Begriffswelt bedeutet das: ich brauche Einsichten in mein Selbst, um Handlungen ableiten zu können, die zu mir passen. Selbsterkenntnis ist damit auch ein Schritt, zumindest eine Voraussetzung für Authentizität. Ehrlichkeit in bezug auf die eigenen Eigenschaften...
auch da gibt es wieder ein Problem. Weniger aus theoretischen Gründen, eher aus praktischer Lebenserfahrung heraus - andere Menschen nehmen mich sehr unterschiedlich war und wenn es um bestimmte Eigenschaften geht, bleibt als tiefere Einsicht die Widersprüchlichkeit bestehen. Wenn ich manchmal 'so' und manchmal 'ganz anders' bin, wenn ich mich mal so und dann wieder ganz anders verhalte, wenn mich andere Menschen sehr unterschiedlich wahrnehmen, wie bin ich denn dann wirklich? Den Ausweg aus dem Dilemma finde ich nur über eine interaktionistische Persönlichkeitstheorie, über die Vorstellung, dass Persönlichkeitsmerkmale unterschiedlich ausgeprägt sein können und sich je nach Situation unterschiedlich zeigen können. Veränderbarkeit, der Umstand, dass ich in verschiedenen Situation eben nicht immer dieselben Schwerpunkte setze, also 'mal so mal so' sein kann, dass ist eben, wenn ich ehrlich bin, auch ein Stück von mir. Und damit komme ich wieder zu einem neuen Begriff: Kohärenz nämlich, den ich (aus einer psychologischen Perspektive) ebenfalls als Element psychischer Gesundheit ansehe und (aus einer philosophischen Perspektive) hochinteressant finde. Wie behalte ich in einer sich rasch wandelnden Welt, die mich selbst natürlich nicht unverändert lässt, das Gefühl dafür, doch irgendwie noch 'derselbe' zu sein?
Noch schwieriger wird es, wenn es um die 'Treue zu den eigenen Prinzipien und Entscheidungen' geht.

Ganz ehrlich: meine Prinzipien haben sich im Laufe meines Lebens immer wieder verändert, so manche Entscheidung hat sich als nicht besonders klug herausgestellt und aus mancher Erfahrung habe ich die Konsequenz gezogen, irgend etwas beim nächsten Mal anders zu machen. Ehrlich, ehrlich hätte ich es gefunden, wenn mal jemand gesagt hätte, "die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke war ein Fehler, wenn ich mir ansehe, was da in Japan passiert... das hätte ich nicht gedacht, diese Entscheidung muss revidiert werden und dafür genügt kein Moratorium, dafür brauchen wir ein neues Gesetz." Das hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun, aber auch mit Aufrichtigkeit: zugeben zu können, Menschen machen nun mal Fehler, Menschen können sich irren, können Sachverhalte falsch einschätzen, aufgrund neuer Erfahrungen und Erkenntnissen zu ganz anderen Einschätzungen gelangen und daraus natürlich auch andere Schlussfolgerungen ableiten.

Ein Satz von Karl Raimund Popper scheint mir gerade jetzt sehr treffend: "Lasst Theorien sterben und nicht Menschen".
Bloss keinen Fehler zugeben, immer perfekt sein wollen, sich zumindest so darstellen, als ob alles unter Kontrolle und in bester Ordnung wäre... das ist krank.
Authentizität, das ist auch: Mut zur Unvollkommenheit.

Und jetzt... ist der Artikel schon so lang geworden, dass ich erstmal eine Pause brauche. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung?

*

Mittwoch, 16. März 2011

Tsunami rollt über die Atomindustrie

Eine vorsichtige Prognose… als Übung gewissermassen.

Erste Annahme: Fukushima löst eine weltweite Orientierungsreaktion aus – früher oder später werden alle Nationen darüber nachdenken, ob ein weiterer Betrieb von Atomkraftwerken ethisch verantwortbar, politisch durchsetzbar und grundsätzlich ökonomisch ist.

Zweite Annahme: die Diskussion in Deutschland wird weltweit einen Welleneffekt auslösen – auch hartnäckige Befürworter werden sich zwingenden Einsichten nicht verschließen können. Im Kern ist das eine bereits bekannte Tatsache: Atomkraft ist gefährlich, Katastrophen sind nicht hundertprozentig zu vermeiden und wenn sie geschehen, extrem schwer, wenn überhaupt, in den Griff zu bekommen. 

Dritte Annahme: Aussagen, die sich gut begründen und mit Fakten belegen lassen, haben eine hohe Überzeugungskraft. Im Interesse des eigenen Überlebens werden Gesellschaften rund um den Erdball nachhaltigeren und weniger gefährlichen Technologien den Vorzug geben. 

Vierte Annahme: eine Weiterentwicklung der Reaktortechnologie ist möglich und die Atomindustrie wird darauf setzen – die Zweifel an der Beherrschbarkeit der Atomkraft sind aber so groß, dass eine echte Renaissance der Atomkraft eher unwahrscheinlich ist. 

Fünfte Annahme: dort, wo es vernünftig denkende Menschen gibt, wird sich früher oder später eine bessere Lösung auch durchsetzen können. 

Sechste Annahme: bei allem Unglück ist die Situation in Japan mit Erdbeben, Tsunami und dem zerstörten Kernkraftwerk Fukushima eine große Chance, grundsätzliche Fragen neu aufzuwerfen, Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen zu korrigieren. 

Siebte Annahme: die Vorstellung, die Natur könne jemals vollständig beherrscht werden, ist eine Illusion. Kontrolle ist stets relativ, absolute Sicherheit gibt es nicht, Demut und Respekt vor den nicht kontrollierbaren Zusammenhängen eine überlebensnotwendige Grundhaltung.

*

Kaiserlicher Trost

Es passt gut zu meinen Vorstellungen von Unterstützung bei der Bewältigung von schwierigen Situationen: die Ansprache des Kaisers in Japan, von der unter anderem die Financial Times Deutschland berichtet. Die wahre Bedeutung des Kaisers in Japan ist mir zwar wenig vertraut, aber soviel konnte ich den Medien entnehmen: es ist eine Seltenheit, dass er sich überhaupt meldet. Er habe Mut zugesprochen, hieß es in den Texten, aber wenn er wirklich eine wichtige Figur ist, bedeutet schon die schlichte Anwesenheit sehr viel. Aus einer rationalen Perspektive scheint es viel wichtiger, konkrete Hilfe zu leisten, Gefahren einzudämmen und alles zu tun, damit sich die Lage normalisieren kann und Schlimmeres verhindert wird. Betrachtet man die Gefühlslage, steht ein anderes Erfahrungsmoment im Vordergrund, das wesentlich stärker zur Angstreduktion beitragen kann - die schlichte Erfahrung, nicht allein zu sein. Da ist jemand. Ich bin nicht allein gelassen. Da kümmert sich jemand um mich. Ganz anders als bei Politikern kann ihm niemand vorwerfen, er wolle sich nur über die nächste Wahl retten oder verfolge irgendwelche politischen Interessen. Der Kaiser ist, wenn ich das richtig deute, eine Vaterfigur, eine stabilisierende Komponente in der inneren Situation seiner Landsleute.

Es gibt noch eine Komponente, von der ich glaube, dass sie eine große Rolle bei der Bewältigung der aktuellen Situation spielt: die Tradition und die Geschichte, sehr wohl mit Blick auf Hiroshima und Nagasaki, einschließlich der Erinnerungen an das Ende des zweiten Weltkrieges. Die Tradition vermittelt die Einbettung in große zeitliche Zusammenhänge, die Geschichte ist eben auch eine Geschichte des Wiederaufbaus, eine kollektive Erfahrung, die das Überlebenkönnen und Wiederaufbauen bewusst zu machen vermag. Die Geschichte stellt der Ohnmacht des Schicksals die Macht des Handelns in der Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft gegenüber. Es ist absehbar, was daraus werden wird - zunächst das Bemühen, die elementaren Voraussetzungen wieder herzustellen und das Zerstörte wieder aufzubauen. All das bringt das Weggespülte nicht zurück und macht die Toten nicht mehr lebendig, aber es lindert den Schmerz.

Die Voraussetzungen sind zwar gegeben, dass es in Japan zu posttraumatischen Belastungsstörungen in enormem Ausmass kommt, zwingend ist es aber nicht. Vielleicht gelingt über die pragmatische Orientierung an der Gegenwart hinaus der Blick nach vorn, der die Erfahrung ermöglicht, dass es trotzdem weiter geht - und Angst eine zwar schlimme, aber zu überwindende, zeitlich begrenzte Gefühlsqualität ist. So sehr sie auch bebte, irgendwann kommt die Erde wieder zur Ruhe und lässt der Neugestaltung Raum.

*

Ängste in Deutschland und Japan, Atomkraft und Angstbewältigung

Die Erkenntnisse aus meinen Recherchen kurz zusammengefasst:
 
  • In Deutschland gibt es keine erhöhten Strahlungswerte, gemessen wird ständig, (Informationsquelle: Bundesamt für Strahlenschutz).
  • Jodtabletten zu nehmen ist deshalb nicht sinnvoll, eher schädlich. 
  • Auch ohne Atomkraftwerke kann Deutschland genug Energie produzieren - wir brauchen sie nicht.

Kommentar von meiner Seite:

Wer Atomkraftwerke als "sicher" bezeichnet, lügt. Sicherheit ist ein relativer Begriff, selbst bei höheren Sicherheitsstandards ist das 'Restrisiko' eben nicht zu beherrschen. Vernünftige Entscheidungen zu treffen bedeutet, nicht nur die Wahrscheinlichkeit, sondern auch das Ausmass einer möglichen Katastrophe zu berücksichtigen. Nachhaltig wirksam können politische Entscheidungen nur dann sein, wenn sie langfristige Wirkungen und Nebenwirkungen mit einkalkulieren. Vor allem dann, wenn wir ohne größere Probleme auf Atomkraftwerke verzichten können, sollten wir das auch tun. Und das so schnell wie nur irgend möglich.

Die Konsequenzen, die aus einem Reaktorunfall entstehen, sind gravierend:
- körperliche Krankheiten durch Strahlenschäden,
- psychische Störungen und Traumata, aber auch
- hohe Folgekosten durch die Notwendigkeit, langfristig strahlende Reaktoren notdürftig abzusichern.

Bei allem Unglück ist die gegenwärtige Situation auch eine Chance, Realitätsverzerrungen und Illusionen aufzudecken und davon Abstand zu nehmen. Bedauerlich, aber menschlich ist der Umstand, dass oft erst Kontrollverlust, hervorgerufen durch eine Katastrophe, zum Umdenken führt. Dabei scheint vieles, was jetzt als "neue Erkenntnis" dargestellt wird, keinesfalls neu - es war schon bekannt, wurde aber aus irgenwelchen Gründen verheimlicht, verharmlost, politischen oder wirtschaftlichen Interessen geopfert.

Bei allem Respekt vor der Vernunft brauchen wir auch Empathie, um nicht nur vernünftige, sondern auch menschliche Entscheidungen treffen zu können. Überall dort, wo es um den Einsatz potentiell gefährlicher Technologien geht, sind ethische Fragestellungen unverzichtbar - gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass wir nicht tief genug blicken können, weder ins Erdinnere hinein noch in die menschliche Psyche. Das, was im Verborgenen geschieht, lässt sich eben nicht exakt vorhersehen, nicht prognostizieren und nicht beherrschen.

Die Tendenz geht deutlich weg von der Atomkraft, hin zu erneuerbaren Energien. Das ist ein Weg, der sich gehen lässt, wenn wir das wollen. Wenn es funktoniert, werden vielleicht auch andere Länder erkennen, dass es bessere, menschlichere Möglichkeiten gibt.

Ich möchte noch einmal auf ein Prinzip, das mir für den Umgang mit Ängsten wichtig geworden ist: verwandle Angst in Fürsorge und Vorsorge. Die Angst vor Erdbeben, Tsunami und radioaktiver Strahlung ist in Japan eine reale Angst - Fürsorge und Vorsorge sind nur dort möglich, wo sich etwas tun lässt. Dort, wo wir ohnmächtig sind, ist es eine Frage der Vernunft, diese Ohnmacht auch zu erkennen, gerade dort nun wirklich "ohne Tabus" zu diskutieren. Dort aber, wo Entscheidungen möglich sind, bedeutet Vorsorge auch, unkalkulierbare Risiken zu vermeiden - und Fürsorge, das Schicksal und die Situation Einzelner in aller Deutlichkeit zur Kenntnis zu nehmen.
So gesehen ist Empathie ein notwendiger Bestandteil politischer Vernunft.

Kaum beachtet scheint mir in den Medien die Frage, wie Kommunikationsprozesse verlaufen sind und welche Konsequenzen diese Prozesse für die Psyche der Menschen haben. Ein kollektives Trauma, eine kollektive Panikstörung - das ist ein Aspekt, der hinter der sachbetonten Berichterstattung zurückbleibt. Zu wenig wird die Frage gestellt, wie viele Einzelne den Boden unter den Füßen wieder gewinnen können, zu wenig Energie fließt in die Bemühungen, den menschlichen Aspekt zu berücksichtigen und die Potentiale zur Überwindung der traumatischen erfahrungen zu fördern.

Hier in Deutschland ist das alles kaum vorstellbar - klar ist mir nur, dass ich wesentlich besser mit Gefahren umgehen kann, die in irgendeiner Form greifbar, erkennbar, abschätzbar sind. Vor einer Welle kann ich weglaufen, wenn es wackelt, kann ich immerhin nach Möglichkeiten suchen, mich irgendwo festzuhalten, mich auf den Boden setzen und eine geeignete Stelle suchen, damit mir nicht irgend etwas auf den Kopf fällt. Wenn es um Strahlung geht... ohne Geigerzähler kann ich nichts erkennen, die Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Wenn ich keine Ahnung habe, wie schlimm es wirklich ist... wirkt Desinformation angstverstärkend.

Bei Facebook gibt es eine Seite "Japan - in Gedanken sind wir bei Euch".

Ein Hinweis auf einen Artikel auf ntv zeigt das Problem in aller Deutlichkeit: Angst und Unmut wachsen, weil es nicht genügend Informationen gibt. Aus einer psychologischen Perspektive ist das fatal - denn gerade jetzt sind Maßnahmen notwendig, Vertrauen zu stabilisieren, Kräfte zu wecken und zu stärken, die eine Bewältigung der Situation möglich machen. Stattdessen weiß niemand etwas Genaues und gerade dann wird aus dem Zustand der Angst heraus schnell das Allerschlimmste befürchtet - und die Angst wächst. Wenn der Schock nachlässt und die Kräfte schwinden, eine ruhige, disziplinierte Haltung aufrechtzuerhalten, werden diese Ängste durchbrechen. Genau dann kommt es darauf an, Wege zu finden, wie sich Angst überwinden lässt, genau dann sind Verlässlichkeit, Solidarität und Rückhalt, Vetrauen und Zuversicht notwendig. Die Frage der Angstbewältigung scheint aber niemanden zu interessieren... bleibt das Individuum in der politischen Diskussion auf der Strecke? 

*

Dienstag, 15. März 2011

Erdbeben und Atomkraft

Kann man Erdbeben voraussehen? Wie entstehen sie eigentlich und welche Konsequenzen haben sie? Könnten Atomkraftwerke sicherer sein, wenn Erdbeben besser prognostiziert werden?

Eine kurze Vorbemerkung sei gestattet: es geht mir im Moment nur um Fakten, dahinter steht aber noch das Anliegen, in der gegenwärtigen Diskussion eine nüchterne Perspektive darzustellen, die nach der rationalen Grundlage der durchaus verständlichen Ängste fragt.

Liegt es an der Position der Sterne, hätte also ein Astrologe das Erdbeben in Japan voraussehen können? Auf die Idee, so eine Frage zu stellen, wäre ich selbst nicht gekommen, aber dass ein 'Astrologiefan' wie Florian Freistätter sich mit dieser Frage beschäftigt, ist nicht verwunderlich. Auf den Artikel zum Erdbeben in Haiti verweise ich hier nur...

In den Medien wurde in den letzten Tagen oft genug davon berichtet: Ursache für Erdbeben sind die Bewegungen der Erdplatten und besonders kritisch wird es da, wo mehrere Platten aufeinander treffen. Das bedeutet erstmal, dass die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben mit einer Stärke von 8,9 mitten auf einer Platte ziemlich gering ist. Aber heißt das nun, dass die Atomkraftwerke in Deutschland eben doch sicher sind und ein GAU oder Super-GAU in Deutschland überhaupt nicht passieren kann? Nein. Nachdem es bereits mehrere Unfälle in Atomkraftwerken gegeben hat, kann von absoluter Sicherheit keine Rede sein.

Ob das nun als Wahlkampftaktik eingestuft wird oder nicht – der Ansatz, die Sicherheit von Atomkraftwerken genauer unter die Lupe zu nehmen und alle AKWs, die nicht benötigt werden, abzuschalten, hat seine Rationalität. In China und Japan scheint man die Dinge anders zu sehen, andererseits war in manchen Artikeln zu lesen, die Sicherheitsvorschriften in Japan seien wesentlich strenger als bei uns. Gut genug waren sie trotzdem nicht – und die Vorwarnzeit für den Tsunami war viel zu kurz, um wirksame vorbeugende Maßnahmen treffen zu können.

Damit komme ich zur Frage, wie es um die Frühwarnsysteme bestellt ist...

Einen Artikel dazu schrieb die FAZ am 11.März 2011 – dort wird beschrieben, das Frühwarnsystem hätte gut funktioniert und bereits nach 9 Minuten erste Warnmeldungen bereit gestellt. Zugestanden, ohne das System wäre manches noch schlimmer gewesen, aber in Anbetracht der Bilder und der Opfer in Japan ist das ein schwacher Trost. Die simple laienhafte Schlußfolgerung lautet, dass es wohl nicht so einfach ist, Erdbeben und Tsunamis längerfristig vorauszusehen – die Frage, ob sich solche Frühwarnsysteme verbessern lassen, liegt nahe.

Ein Artikel der Uni Potsdam stimmt da skeptisch: die Erde bebt, wann sie will, Schadensbegrenzung ist möglich, aber so wie es aussieht, sind Erdbeben eben nicht langfristig prognostizierbar.  
Eine Darstellung des Tsunami-Frühwarnsystems im Pazifik findet sich in einem Artikel der ZEIT. Das Kernproblem kommt auch hier zum Ausdruck: viel Zeit bleibt selten.

So, jetzt trete ich mal gewissermassen einen Schritt zurück und frage mich, wie vernünftig das eigentlich ist, in einem Erdbebengebiet überhaupt ein Atomkraftwerk zu bauen. Und dann noch an der Küste. Alles was mit Elektronik zu tun hat, reagiert in der Regel nicht besonders begeistert auf Erschütterungen, Hitze und Wasser. Dass in einem solchen Fall alles Mögliche ausfällt, das ist auf jeden Fall vorhersehbar. Wer seine Sinne einigermaßen klar beisammen hat, muss also erkennen, dass in bestimmten Regionen ein erhebliches Risiko besteht, dass es früher oder später zu einer Katastrophe kommt. Und jetzt träume ich mal ein bisschen... steht dort eine Solaranlage oder ein Windrad, gehen vielleicht Solarzellen kaputt oder ein Windrad stürzt um. Schaden entsteht dann auch... aber das ist, wenn es um Menschenleben geht, kein Vergleich zur Gefahr radioaktiver Strahlung.

In Japan kommt noch ein weiteres Problem hinzu: ob und wie genau die Öffentlichkeit über Folgeschäden unterrichtet wird, hängt vom Kraftwerksbetreiber ab. Fukushima I... ist außer Kontrolle geraten und Naoto Kan ist sauer. Nun kann man sich darüber streiten, ob genaue Informationen Panik auslösen würden – aus der Sicht betroffener Bürger steht aber meiner Ansicht nach das Informationsbedürfnis im Vordergrund. Dass der Ministerpräsident aus erster Hand informiert sein möchte, kann ich gut verstehen, trotz des Einwands auf Twitter...


Eine kurze Zwischenbilanz...: Frühwarnsysteme lassen sich bestimmt noch verbessern, aber sie sind im Moment zumindest nicht gut genug, um umfangreiche Vorbereitungen möglich zu machen. Erdbeben und Tsunamis lassen sich nicht wirklich vorhersehen, kontrollieren auch nicht.

Ob es möglich wäre, eine Kernschmelze zuverlässig zu verhindern, wenn eine Vorwarnzeit von mehreren Stunden erreichbar wäre, ist eine schwierige Frage – sie ist aber auch rein hypothetisch. Dass es Naturkatastrophen gibt, denen wir nichts entgegenzusetzen haben, ist eine Sache – das müssen wir akzeptieren, ob es uns nun gefällt oder nicht. Aber darüber hinaus das Risiko von Strahlenschäden einzugehen, das ist ein ganz anderes Thema.

Ganz nüchtern: die Aussage, Atomkraftwerke seien sicher, ist und war schon immer falsch.

Tschernobyl ist lange her... bei You Tube habe ich ein Video ausgegraben, das den Reaktor 20 Jahre später zeigt, also im Jahr 2006.




Schlußfolgerungen? Bitte selbst nachdenken, dazu gehört auch die Frage, ob es ein 'Missbrauch der Katastrophe' ist, wenn neu über Atomkraft nachgedacht wird. Auf einen Artikel aus den Scienceblogs möchte ich noch verweisen, dort sammelt Jörg Rings Quellen zum Fukushima-Kraftwerk-Störfall.

Sachlich und nüchtern zu bleiben ist schwer genug...


Related Posts with Thumbnails